Unterströmung

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Die Entwurf für die Skulpturarchitektur "Unterströmung" wurde 2020 für den von der Stadt Frankenberg international ausgeschriebenen Ideenwettbewerb "Gedenkstätte Konzentrationslager Sachsenburg - Umgestaltung der 'Kommandantenvilla'" entwickelt. Ziel des Wettbewerbs war es, "die baulichen Überreste der „Kommandantenvilla“ des ehemaligen Konzentrationslagers (KZ) Sachsenburg in quantitativer und qualitativer Hinsicht bestmöglich zu sichern und als Teil der Gedenkstätte umzugestalten".


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Konzeption

 

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Der künstlerische Bau "Unterströmung" ist nicht als ergänzendes Denkmal konzipiert. Den Bewohnern und damit dem Kommandanten des Konzentrationslagers soll an dieser Stelle keine Hervorhebung gewidmet werden, auch nicht in der Form eines „Anti-Denkmals“. Der künstlerische Bau widmet sich vielmehr dem Sehen als unerlässlichen Akt der Zeugenschaft über alle Zeiten und Gesellschaftsformen hinweg und schafft einen Raum, der die Instabilität unserer Werte und unseres Wissens erfahrbar machen soll. Unterströmung ist ein begehbarer Ort, der bewusst erschlossen werden soll. Die/der Besucher*in ist als Akteur angesprochen, um Geschichte immer wieder neu zu reflektieren und in der Zeitgenossenschaft zu verankern.

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Blickachsen

Von der Terrasse der Villa aus blickten die Bewohner (zunächst der Fabrikant, später der Kommandant des Konzentrationslagers und seine Familie) in die Natur und konnten damit ihre Blicke abwenden von der Arbeit und dem Grauen der Unterdrückung. Die Natur kann hier als das Idyll und romantischer Rückzugsort gelesen werden. Auf der anderen Seite bietet das Gebäude vom Wohnzimmer (EG) und vom Schlafzimmer (1.OG) aus aber auch eine bewusst offene Blickbeziehung zur Fabrik. Diese Sichtbeziehungen erfolgten von den intimen Lebensräumen der Bewohner. Die Fabrik war dadurch stets präsent. Der Blick auf die Arbeit zeugt im Falle des Fabrikanten eventuell von dessen hohen Arbeitsethos. Im Falle der Kommandanten des Konzentrationslagers spiegelt dieser Blick auf die Unterdrückung und die damit verbundene Präsenz des Leids die Abwesenheit jeglicher ethischen Haltung. Das Idyll und der Blick in die Natur entpuppt sich im Nationalsozialismus als Rückseite einer Versachlichung und Verdinglichung des Unfassbaren und des Grauenhaften.

Die Sichtbeziehung zwischen der Villa und dem Konzentrationslager ist deswegen von zentraler Bedeutung. Die künstlerische Arbeit Unterströmung soll die Besucher*innen in die Position des Betrachtenden und des Sehenden versetzen. Eine kommentierende Erklärung wäre für die Betrachter an der Stelle der Villa auch möglich, die künstlerische Arbeit "Unterströmung" zwingt aber bewusst zum unerklärten und unerklärlichen Blick auf die Fabrik und das Leid der Inhaftierten. Das Scheiterns eines positivistischen Wissens- und Vermittlungsmodells und die Erfahrung der Brüchigkeit von Zeugenschaft wird deutlich. An der Stelle der Kommandantenvilla wird das Sehen und die damit verbundene Zeugenschaft auf das Unerklärbare erfahrbar.

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Wegeführung

Die Besucher*innen haben die Möglichkeit das Gebäude (historischer Eingang) auf einer Seite über eine langgestreckte Brücke zu betreten. Sie verlassen das Gebäude auf der gegenüberliegen Seite (historische Terrasse), wo ebenfalls ein langer Steg vom Gebäude wegführt. Auf eine nächtliche Beleuchtung wurde in unserem Entwurf aus Gründen der Nachhaltigkeit verzichtet. Auch soll so eine gesteigerte Attraktivität des Gebäudes verhindert werden. Aus Gründen der Sicherheit lässt sich eine dezente Beleuchtung zur Orientierung der Besucher*innen integrieren. Die blinden Fensternischen könnten für eine dezenten Beschilderung und Informationsmaterial genutzt werden, wenn dies im Rahmen des Gesamtkonzepts für die Vermittlung erwünscht ist. Die Architekturskulptur Unterströmung sollte aber als purer Baukörper erfahrbar bleiben. Eine zusätzliche Aufarbeitung mit audio-visuellen Medien sollte im Zweifel in Abstimmung mit dem bestehenden Museum erfolgen.

Die Villa Die Architektur der Villa verkörpert ein Ideal des Lebens außerhalb der Stadt und auch fern der Öffentlichkeit. Sie wurde zum Symbol der bürgerlichen Autonomie. Das Gebäude der ehemaligen Fabrikantenvilla (später Kommandantenvilla) auf dem Gelände der ehemaligen Spinnerei Sachsenburg spiegelt unmissverständlich den Anspruch wider, sich durch eine architektonische Formensprache von den Fabrikgebäuden und dem Ort der Arbeit abzuheben. Die Villa liegt abgerückt im grünen Umfeld und hat somit im Wesentlichen Blick auf Bäume und die Natur. Von einer Seite des Gebäudes bietet sie aber auch eine Blickbeziehung zur Fabrik.

Sehen und Erfahren Die künstlerisch-architektonische Arbeit Unterströmung führt den Besucher in den freigelegten Innenraum der Kommandantenvilla. Die ehemalige Architektur wird über der historischen Sockelzone in einer Höhe von 250 cm nachgebildet,
wobei die Fenster in der Wandabwicklung nur reliefhaft und ohne Öffnungen angedeutet bleiben. Die umlaufende Wand verweigern dadurch den Blick nach außen. Lediglich der Blick zum Konzentrationslager wird in der dunklen Wandabwicklung preisgegeben. Zeugenschaft wird augenfällig. Der nach oben offene Raum verwandelt sich zu einem stillen Ort mit gesteigerter Wirksamkeit.

Material Im direkten Anschluss an das freigelegte historische Sockelgeschoss der Villa werden die Außenwände des Gebäudes in dunkel durchgefärbtem Beton nachgeformt. Dieser Nachbau erhebt sich als Andeutung in einer Höhe von 2 Metern über den Sockel. Von innen wird die/der Betrachter*in dadurch
komplett umfangen. Der gefärbte Beton bildet nach unten zusätzlich die Außenwand des neuen Wasserbeckens.



 

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